Rudolf Virchow ("uttales wircho"!)
* 1821 + 1902
Tysk patolog
Grunnlegger av cellularpatologi !
Grunnleggende undersøkelser angående patologisk anatomi
Svulstforskning
Forkjemper for hygiene
Politiker
Rudolf Virchow, Cellularpathologie. Berlin 1858.
Internetausgabe der Vorrede und der ersten Vorlesung
von Thomas Gloning und Christian Heuer. Marburg 2000.
[1] = Seitenzahl, [1Anm] = Seitenzahl von Abbildungskommentaren, die im Original
jeweils am Fuß der betreffenden Seite stehen;
die römischen Seitenzahlen beziehen sich auf den Nachdruck 1966.
Mit 144 Holzschnitten.
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BERLIN, 1858.
Verlag von August Hirschwald.
69 Unter den Linden (Ecke
der Schadowstr.).
Die Vorlesungen, welche ich hiermit dem weiteren
ärztlichen Publicum
vorlege, wurden im Anfange
dieses Jahres vor einem grösseren Kreise von
Collegen,
zumeist praktischen Aerzten Berlin's, in dem
neuen
pathologischen Institute der Universität gehalten.
Sie verfolgten
hauptsächlich den Zweck, im
Anschlusse an eine möglichst ausgedehnte Reihe
von
mikroskopischen Demonstrationen eine zusammenhängende
Erläuterung
derjenigen Erfahrungen zu gehen,
auf welchen gegenwärtig nach meiner
Auffassung die
biologische Doctrin zu begründen und aus welchen
auch die
pathologische Theorie zu gestalten ist. Sie
sollten insbesondere in einer
mehr geordneten Weise,
als dies bisher geschehen war, eine Anschauung
von
der cellularen Natur aller Lebenserscheinungen, der
physiologischen
und pathologischen, der thierischen
und pflanzlichen zu liefern versuchen, um
gegenüber
den einseitigen humoralen und neuristischen
(solidaren)
Neigungen, welche sich aus den Mythen des Alterthums
bis in
unsere Zeit fortgeflanzt [!] haben, die Einheit
des Lebens in allem
Organischen wieder dem Bewusstsein
näher zu bringen, und zugleich den
ebenso
einseitigen Deutungen einer grob-mechanischen und
chemischen
Richtung die feinere Mechanik und Chemie
der Zelle entgegen zu halten.
[XII] Bei den grossen Fortschritten des Einzelwissens
ist es der Mehrzahl
der praktischen Aerzte immer
schwieriger geworden, sich dasjenige Maass der
eigenen
Anschauung zu gewinnen, welches allein eine gewisse
Sicherheit des
Urtheils verbürgt. Täglich entschwindet
die Möglichkeit nicht bloss einer
Prüfung,
sondern selbst eines Verständnisses der neueren Schriften
denjenigen mehr und mehr, welche in den oft so
mühseligen und
erschöpfenden Wegen der Praxis ihre
beste Kraft verbrauchen müssen. Denn
selbst die
Sprache der Medicin nimmt allmählig ein anderes
Aussehen an:
bekannte Vorgänge, welche das herrschende
System seinem Gedankenkreise an
einem bestimmten
Orte eingereiht hatte, wechseln mit der Auflösung
des
Systems die Stellung und die Bezeichnung.
Indem eine gewisse Thätigkeit von
dem Nerven, dem
Blute oder dem Gefässe auf das Gewebe verlegt,
ein
passiver Vorgang als ein activer, ein Exsudat als
eine Wucherung erkannt
wird, ist auch die Sprache
genöthigt, andere Ausdrücke für diese
Thätigkeiten,
Vorgänge und Erzeugnisse zu wählen, und je vollkommener
die Kenntniss des feineren Geschehens der
Lebensvorgänge wird, um so mehr
müssen sich auch
die neueren Bezeichnungen an diese feineren
Grundlagen
der Erkenntniss anschliessen.
Nicht leicht kann Jemand mit mehr Schonung
des Ueberlieferten die
nothwendige Reform der Anschauungen
durchzuführen versuchen, als ich es
mir
zur Aufgabe gestellt habe. Allein die eigene Erfahrung
hat mich
gelehrt, dass es hier eine gewisse
Grenze gibt. Zu grosse Schonung ist ein
wirklicher
Fehler, denn sie begünstigt die Verwirrung: ein
zweckmässig
gewählter Ausdruck macht dem allgemeinen
[XIII] Verständnisse etwas sofort
zugänglich, was ohne
ihn jahrelange Bemühungen höchstens für Einzelne
aufzuklären vermochten. Ich erinnere an die parenchymatöse
Entzündung,
an Thrombose und Embolie,
an Leukämie und Ichorrhämie, an osteoides
und
Schleimgewebe, an käsige und amyloide Metamorphose,
an die
Substitution der Gewebe. Neue Namen sind
nicht zu vermeiden, wo es sich um
thatsächliche
Bereicherungen des erfahrungsmässigen Wissens handelt.
Auf der anderen Seite hat man es mir schon öfters
zum Vorwurfe gemacht,
dass ich die moderne Anschauung
auf veraltete Standpunkte
zurückzuschrauben
bemüht sei. Hier kann ich wohl mit gutem Gewissen
sagen,
dass ich eben so wenig die Tendenz habe, den
Galen oder den Paracelsus zu
rehabilitiren, als ich
mich davor scheue, das, was in ihren
Anschauungen
und Erfahrungen wahr ist, offen anzuerkennen. In der
That
finde ich nicht bloss, dass im Alterthum und im
Mittelalter die Sinne der
Aerzte nicht überall durch
überlieferte Vorurtheile gefesselt wurden, sondern
noch
mehr, dass der gesunde Menschenverstand im Volke
an gewissen
Wahrheiten festgehalten hat, trotzdem dass
die gelehrte Kritik sie für
überwunden erklärt. Was
sollte mich abhalten, zu gestehen, dass die
gelehrte
Kritik nicht immer wahr, das System nicht immer
Natur gewesen
ist, dass die falsche Deutung nicht die
Richtigkeit der Beobachtung
beeinträchtigt? warum
sollte ich nicht gute Ausdrücke erhalten oder
wiederherstellen,
trotzdem dass man falsche Vorstellungen
daran geknüpft
hat? Meine Erfahrungen nöthigen mich,
die Bezeichnung der Wallung (Fluxion)
für besser zu
halten, als die der Congestion; ich kann nicht umhin,
die
Entzündung als eine bestimmte Erscheinungsform
[XIV] pathologischer Vorgänge
zuzulassen, obwohl ich sie
als ontologischen Begriff auflöse; ich muss trotz
des
entschiedenen Widerspruchs vieler Forscher den Tuberkel
als miliares
Korn, das Epitheliom als heteroplastische,
maligne Neubildung (Cancroid)
festhalten.
Vielleicht ist es in heutiger Zeit ein Verdienst,
das historische Recht
anzuerkennen, denn es ist in
der That erstaunlich, mit welchem Leichtsinn
gerade
diejenigen, welche jede Kleinigkeit, die sie gefunden
haben, als
eine Entdeckung preisen, über die Vorfahren
aburtheilen. Ich halte auf mein
Recht und darum erkenne
ich auch das Recht der Anderen an. Das ist
mein
Standpunkt im Leben, in der Politik, in der
Wissenschaft. Wir sind es uns
schuldig, unser Recht
zu vertheidigen, denn es ist die einzige
Bürgschaft
unserer individuellen Entwickelung und unseres Einflusses
auf
das Allgemeine. Eine solche Vertheidigung
ist keine That eitlen Ehrgeizes,
kein Aufgeben
des rein wissenschaftlichen Strebens. Denn wenn wir
der
Wissenschaft dienen wollen, so müssen wir sie
auch ausbreiten, nicht bloss in
unserem eigenen Wissen,
sondern auch in der Schätzung der Anderen.
Diese
Schätzung aber beruht zum grossen Theile auf
der Anerkennung, die unser
Recht, auf dem Vertrauen,
das unsere Forschung bei den Anderen findet, und
das
ist der Grund, warum ich auf mein Recht halte.
In einer so unmittelbar praktischen Wissenschaft,
wie die Medicin, in
einer Zeit so schnellen Wachsens
der Erfahrungen, wie die unsrige, haben wir
doppelt die
Verpflichtung, unsere Kenntniss der Gesammtheit
der
Fachgenossen zugänglich zu machen. Wir wollen die
Reform, und nicht
die Revolution. Wir wollen das Alte
conserviren und das Neue hinzufügen. Aber
den Zeitgenossen
[XV] trübt sich das Bild dieser Thätigkeit. Denn nur
zu
leicht gewinnt es den Anschein, als würde eben nur
ein buntes Durcheinander
von Altem und Neuem gewonnen,
und die Notwendigkeit, die falschen
oder
ausschliessenden Lehren der Neueren mehr, als die der
Alten zu
bekämpfen, erzeugt den Eindruck einer mehr
revolutionären, als
reformatorischen Einwirkung. Es
ist freilich bequemer, sich auf die Forschung
und die
Wiedergabe des Gefundenen zu beschränken und Anderen
die
"Verwerthung" zu überlassen, aber die Erfahrung
lehrt, dass dies überaus
gefährlich ist und zuletzt
nur denjenigen zum Vortheil ausschlägt,
deren
Gewissen am wenigsten zartfühlend ist. Uebernehmen
wir daher jeder
selbst die Vermittelung zwischen der
Erfahrung und der Lehre.
Die Vorlesungen, welche ich hier mit der Absicht
einer solchen
Vermittelung veröffentliche, haben so
ausdauernde Zuhörer gefunden, dass sie
vielleicht auch
nachsichtige Leser erwarten dürfen. Wie sehr sie
der
Nachsicht bedürfen, fühle ich selbst sehr lebhaft. Jede
Art von
freiem Vortrage kann nur dem wirklichen Zuhörer
genügen. Zumal dann, wenn der
Vortrag wesentlich
darauf berechnet ist, als Erläuterung für
Tafel-Zeichnungen
und Demonstrationen zu dienen, muss er
nothwendig dem
Leser ungleichmässig und lückenhaft
erscheinen. Die Absicht, eine gedrängte
Uebersicht
zu liefern, schliesst an sich eine speciellere, durch ausreichende
Citate unterstützte Beweisführung mehr oder
weniger aus und die Person
des Vortragenden wird
mehr in den Vordergrund treten, da er die
Aufgabe
hat, gerade seinen Standpunkt deutlich zu machen.
Möge man daher das Gegebene für nicht mehr
nehmen, als es sein soll.
Diejenigen, welche Musse
[XVI] genug gefunden haben, sich in der laufenden
Kenntniss
der neueren Arbeiten zu erhalten, werden wenig Neues
darin
finden. Die Anderen werden durch das Lesen
nicht der Mühe überhoben sein, in
den histologischen,
physiologischen und pathologischen Specialwerken
die
hier nur ganz kurz behandelten Gegenstände genauer
studiren zu müssen.
Aber sie werden wenigstens eine
Uebersicht der für die cellulare Theorie
wichtigsten
Entdeckungen gewinnen und mit Leichtigkeit das
genauere
Studium des Einzelnen an die hier im Zusammenhange
gegebene
Darstellung anknüpfen können.
Vielleicht wird gerade diese Darstellung einen
unmittelbaren
Anreiz für ein solches genaueres Studium abgeben,
und schon
dann wird sie genug geleistet haben.
Meine Zeit reicht nicht aus, um mir die schriftliche
Ausarbeitung eines
solchen Werkes möglich zu
machen. Ich habe mich deshalb genöthigt
gesehen,
die Vorlesungen, wie sie gehalten wurden, stenographiren
zu
lassen und mit leichten Aenderungen zu
redigiren. Herr Cand. med. Langenhaun
hat mit
grosser Sorgfalt die stenographische Arbeit besorgt.
Soweit es
sich in der Kürze der Zeit thun liess, und
soweit der Text ohne dieselben für
Ungeübte nicht
verständlich sein würde, habe ich nach den Tafel-Zeichnungen
und besonders nach den vorgelegten Präparaten
Holzschnitte anfertigen
lassen; Vollständigkeit
liess sich in dieser Beziehung nicht erreichen, da
schon
so die Veröffentlichung durch die Anfertigung der Holzschnitte
um
Monate verzögert worden ist.
Misdroy, am 20. August 1858.
Rud. Virchow.
10. Februar 1858.
Einleitung und Aufgabe. Bedeutung der anatomischen Entdeckungen
in der Geschichte der
Medicin. Geringer Einfluss der Zellentheorie auf die
Pathologie. Die Zelle als letztes
wirkendes Element des lebenden Körpers.
Genauere Bestimmung der Zelle. Die Pflanzenzelle:
Membran, Inhalt, Kern. Die
thierische Zelle: die eingekapselte (Knorpel) und die
einfache. Der
Zellenkern (Nucleus). Das Kernkörperchen (Nucleolus). Die Theorie der
Zellenbildung
aus freiem Cytoblastem. Constanz des Kerns und Bedeutung
desselben für die
Erhaltung der lebenden Elemente. Verschiedenartigkeit des
Zelleninhalts und Bedeutung
desselben für die Function der Theile. Die Zellen
als vitale Einheiten. Der Körper als
sociale Einrichtung. Die
Cellularpathologie im Gegensatze zur Humoral-
und
Solidarpathologie.
Erläuterung einiger Präparate. Junge
Pflanzentriebe. Pflanzenwachsthum. Knorpelwachsthum.
Junge Eierstockseier.
Junge Zellen im Auswurf.
Meine Herren, indem ich Sie herzlich willkommen heisse
auf Bänken, die
Ihnen seit Langem ungewohnt sein werden,
so muss ich im Voraus bemerken,
dass es nicht meine Unbescheidenheit
ist, welche Sie hierher berufen hat,
sondern dass
ich nur dem wiederholt ausgesprochenen Wunsche vieler
unter
Ihnen nachgegeben habe. Auch würde ich es nicht gewagt
haben, Ihnen
Vorträge in der Weise anzubieten, wie ich sie
in meinen regelmässigen Cursen
zu halten pflege, vielmehr
will ich den Versuch machen, in etwas mehr
zusammenfassender
Art Ihnen die Entwicklung vorzuführen, welche ich selbst,
und, wie ich denke, welche auch die medicinische Wissenschaft im
Verlaufe
der letzten Decennien gemacht hat. Schon in der
Ankündigung habe ich die
Vorlesungen so bezeichnet, dass
ich neben die Pathologie die Histologie
gestellt habe, aus
dem Grunde, weil ich voraussetzen zu müssen glaube, dass
[2] vielen unter Ihnen, welchen vielleicht die neuesten histologischen
Wechsel nicht ganz geläufig sind, eigene Anschauungen
mikroskopischer
Dinge nicht hinreichend zu Gebote stehen.
Da jedoch gerade auf solche
Anschauungen die wichtigen
Schlüsse sich stützen, die wir gegenwärtig ziehen,
so
werden Sie es verzeihen, wenn ich, ohne Rücksicht auf
diejenigen unter
Ihnen, welche vollständig orientirt sind, mich
so anstelle, als ob Sie alle
nicht ganz in den nöthigen
Vorkenntnissen zu Hause wären.
Die gegenwärtige Reform der Medicin, die Sie alle mit erlebt
haben, ging
wesentlich aus von neuen anatomischen Erfahrungen,
und auch das, was ich
Ihnen vorzutragen habe, soll sich vorzüglich
auf anatomische Demonstrationen
stützen. Aber es würde
für mich nicht ausreichen, wie es in dem letzten
Jahrzehnt
gebräuchlich war, nur die pathologische Anatomie als Grundlage
der Anschauung zu nehmen; wir müssen auch die
allgemein-anatomischen
Thatsachen hinzufügen, aus welchen die
augenblickliche Gestaltung der
Wissenschaft gewonnen worden
ist. Die Geschichte der Medicin lehrt uns ja,
wenn wir
nur einen einigermassen grosseren Ueberblick nehmen, dass
zu
allen Zeiten die eigentlichen Fortschritte bezeichnet worden
sind durch
anatomische Neuerungen, und dass jede grössere Phase
der Entwicklung zunächst
eingeleitet worden ist durch eine Reihe
von bedeutenden Entdeckungen über den
Bau des Körpers.
So ist es in der alten Zeit gewesen, als die Erfahrungen
der
Alexandriner, zum ersten Male von der Anatomie des Menschen
ausgehend,
das galenische System vorbereiteten, so im Mittelalter,
als Vesal wiederum
die Anatomie neu begründete und
damit die eigentliche Reform der Medicin
begann, so endlich, als
Bichat die Grundsätze der allgemeinen Anatomie
entwickelte.
Dasjenige, was Schwann gethan hat für die Gewebelehre,
das
ist für die Pathologie bis jetzt sehr wenig ausgebaut
und entwickelt worden,
und man kann sagen, dass nichts weniger
in das allgemeine Bewusstsein
eingedrungen ist, als die
Zellentheorie in ihrer nahen Beziehung zur
Pathologie.
Wenn man den ausserordentlichen Einfluss erwägt, welchen
seiner Zeit
Bichat auf die Gestaltung der ärztlichen
Anschauungen ausgeübt hat, so ist es
in der That erstaunlich,
[3] dass eine so verhältnissmässig lange Zeit
vergangen ist, seitdem
Schwann seine grossen Entdeckungen machte, ohne
dass
man die eigentliche Breite der neuen Thatsachen würdigte.
Es hat
dies allerdings sehr wesentlich an der immer noch
unvollständigen Kenntniss
der feineren Einrichtung unserer Gewebe
gelegen, welche bis in die neueste
Zeit bestanden hat, und
welche, wie wir leider zugestehen müssen, in manchen
Theilen
der Histologie selbst jetzt noch in solchem Maasse herrscht,
dass
man kaum weiss, für welche Ansicht man sich
entscheiden soll.
Besondere Schwierigkeiten hat die Beantwortung der
Frage gemacht, von
welchen Theilen des Körpers eigentlich
die Action ausgeht, welcher Theil
thätig, welcher leidend ist;
doch ist ein Abschluss darüber schon jetzt in
der That vollständig
möglich, selbst bei solchen Theilen, über deren
Struktur
noch gestritten wird. Es handelt sich bei dieser Anwendung
der
Histologie auf Physiologie und Pathologie zunächst
um die Anerkennung, dass
die Zelle wirklich das letzte eigentliche
Form-Element aller lebendigen
Erscheinung sei, und
dass wir die eigentliche Action nicht über die Zelle
hinausverlegen
dürfen. Ihnen gegenüber werde ich mich nicht besonders
zu
rechtfertigen haben, wenn ich in dieser Beziehung
etwas ganz Besonderes dem
Leben vorbehalte. In der Folge
dieser Vorträge werden Sie sich überzeugen,
dass man für
das Einzelne kaum mechanischer denken kann, als ich es
zu
thun pflege, wo es sich darum handelt, Vorgänge, deren
Erklärung wir
suchen, zu deuten. Aber ich glaube, dass man
das festhalten muss, dass, wie
viel auch von dem feineren
Stoff-Verkehr, der innerhalb der Zelle geschieht,
jenseits des
materiellen Gebildes als Ganzen liegen mag, doch die
eigentliche
Action von diesem Gebilde als solchem ausgehe, und dass
das
lebende Element nur so lange wirksam ist, als es uns wirklich
als
Ganzes, für sich bestehend, entgegentritt.
In dieser Frage kommt es zunächst darauf an, und Sie
werden mir verzeihen,
wenn ich dabei etwas verweile, weil dies
ein Punkt ist, welcher noch jetzt
streitig ist, dass wir feststellen,
was man eigentlich unter einer Zelle zu
verstehen habe.
Gleich im Anfang, als die neueste Phase der
histologischen
[4] Entwicklung begonnen wurde, häuften sich grosse
Schwierigkeiten,
indem, wie Ihnen bekannt sein wird, Schwann,
zunächst
auf den Schultern von Schleiden stehend, seine Beobachtungen
nach
botanischen Mustern deutete, so dass alle Lehrsätze
der Pflanzen-Physiologie
in einem nicht unerheblichen Maasse
entscheidend wurden für die Physiologie
der thierischen Körper.
Die Pflanzenzelle in dem Sinne, wie man sie zu
jener
Zeit ganz allgemein fasste, und wie sie auch gegenwärtig
häufig
noch gefasst wird, ist aber ein Gebilde, dessen Identität
mit dem, was wir
thierische Zelle nennen, nicht ohne Weiteres
zugestanden werden kann.
Wenn man von gewöhnlichem Pflanzenzellgewebe spricht,
so meint man im
Allgemeinen damit ein Gewebe, das in seiner
einfachsten und regelmässigsten
Form auf einem Querschnitt
(Fig. 1. a.) aus lauter vier- oder sechseckigen,
wenn es etwas
loser ist, aus rundlichen oder polygonalen Körpern besteht,
an
Die Substanz, welche die äussere Membran bildet, und welche
unter dem
Namen der Cellulose bekannt ist, zeigt sich im Allgemeinen
als
stickstofflos, und gibt die eigenthümliche, sehr
charakteristische, schön
blaue Färbung bei Zusatz von Jod
und Schwefelsäure. (Jod allein gibt keine
Färbung, die
Schwefelsäure für sich verkohlt.) Der Inhalt der Zellen
dagegen
wird nicht blau; wenn die Zelle recht einfach ist, so
tritt
vielmehr durch die Einwirkung von Jod und Schwefelsäure
eine
bräunliche oder gelbliche Masse hervor, die sich als besonderer
Körper im
Inneren des Zellenraumes isolirt (Protoplasma)
und an der sich eine zweite,
faltige, häufig geschrumpfte
Haut (Primordialschlauch) erkennen lässt (Fig.
1. c.).
Auch die gröbere chemische Analyse zeigt an den einfachsten
Zellen gewöhnlich neben der stickstofflosen (äusseren) Substanz
eine
stickstoffhaltige (Inhalts-)Masse, und die Pflanzen-Physiologie
hatte somit
ein Recht zu schliessen, dass das
eigentliche Wesen einer Zelle darin beruhe,
dass innerhalb einer
stickstofflosen Membran ein von ihr differenter
stickstoffhaltiger
Inhalt vorhanden sei.
Man wusste freilich schon seit längerer Zeit, dass noch andere
Dinge sich
im Innern der Zellen befinden, und es war eine
der folgenreichsten
Entdeckungen, als Rob. Brown den Kern
(Nucleus) innerhalb der Zelle
entdeckte. Aber man legte diesem
Gebilde eine grössere Bedeutung für die
Bildung als für
die Erhaltung der Zellen bei, weil in sehr vielen
Pflanzenzellen
der Kern äusserst undeutlich wird, in vielen ganz
verschwindet,
während die Form der Zelle erhalten bleibt.
Mit solchen Erfahrungen kam man an die thierischen Gewebe,
deren
Uebereinstimmung mit den pflanzlichen Schwann
nachzuweisen suchte. Die eben
besprochene Deutung der
gewöhnlichen pflanzlichen Zellenform diente als
Ausgangspunkt.
Dies ist aber, wie die spätere Erfahrung gezeigt hat, in
gewissem
Sinne irrig gewesen. Man kann die pflanzliche Zelle
in ihrer
Totalität nicht mit jeder beliebigen thierischen zusammenstellen.
Wir kennen
an thierischen Zellen keine solche
Differenzen zwischen stickstoffhaltigen
und stickstofflosen
[6] Schichten; in allen wesentlich die Zelle
constituirenden
Theilen kommen stickstoffhaltige Materien vor. Aber
es
gibt allerdings gewisse Formen im thierischen Leibe, welche
an diese
Formen der pflanzlichen Zellen unmittelbar erinnern,
und unter diesen ist
keine so charakterisch als die Zellenformation
im Knorpel, der seiner ganzen
Erscheinung nach
von den übrigen Geweben des thierischen Leibes äusserst
verschieden
ist, und der namentlich durch seine Gefässlosigkeit eine
besondere Stellung einnimmt. Der Knorpel schliesst sich unmittelbar
durch die Eigenthümlichkeit seiner Elemente an die
Pflanze an. An einer
recht entwickelten Knorpelzelle erkennen
Man hat aber gewöhnlich, wenn man den Knorpel schilderte,
das ganze eben
beschriebene Ding (Fig. 2. a-d) ein Knorpelkörperchen
genannt, und indem man
dasselbe als analog den Zellen
anderer thierischer Theile auffasste, so ist
man in Schwierigkeiten
gerathen, welche die Kenntniss des wahren
Sachverhältnisses
ungemein störten. Das Knorpelkörperchen ist nehmlich
nicht als Ganzes eine Zelle, sondern die äussere Schicht,
die Capsel,
ist das Produkt einer späteren Entwicklung (Absonderung,
Ausscheidung). Im
jungen Knorpel ist sie sehr
dünn, während auch die Zelle kleiner zu sein
pflegt. Gehen
wir noch weiter in der Entwickelung zurück, so treffen wir
auch im Knorpel nichts als die einfache Zelle, dasselbe Gebilde,
welches
auch sonst in thierischen Gebilden vorkommt,
und das jene äussere
Absonderungsschicht nicht besitzt.
Sie sehen daraus, meine Herren, dass die Vergleichung
[7] zwischen
thierischen und pflanzlichen Zellen, die wir allerdings
machen müssen,
insofern unzulässig ist, als in den meisten
thierischen Geweben keine
Formelemente gefunden werden, die
als Aequivalente der Pflanzenzelle in der
alten Bedeutung dieses
Wortes betrachtet werden können, dass insbesondere
die
Cellulose-Membran der Pflanzenzelle nicht der thierischen Zellhaut
entspricht, und dass die letztere als stickstoffhaltig nicht
eine
typische Verschiedenheit von der ersteren als stickstofflosen
darbietet.
Vielmehr treffen wir in beiden Fällen eine
Bildung, die wesentlich
stickstoffhaltiger Natur und im Grossen
von übereinstimmender
Zusammensetzung ist. Die sogenannte
Membran der Pflanzenzelle findet sich
nur in einigen thierischen
Gebilden, z.B. im Knorpel wieder; die
gewöhnliche
Membran der Thierzelle entspricht dem Primordialschlauch
der
Pflanzenzelle. Erst wenn man diesen Standpunkt festhält,
wenn man von
der Zelle Alles ablöst, was durch eine spätere
Entwicklung hinzugekommen
ist, so gewinnt man ein einfaches,
gleichartiges, äusserst monotones Gebilde,
welches sich mit
ausserordentlicher Constanz in den lebendigen Organismen
wiederholt.
Aber gerade diese Constanz ist das beste Kriterium
dafür,
dass wir in ihm das eigentlich Elementare haben, welches
alles Lebendige
charakterisirt, ohne dessen Präexistenz
keine lebendigen Formen entstellen,
und an welches der eigentliche
Fortgang, die Erhaltung des Lebens gebunden
ist. Erst
seitdem der Begriff der Zelle diese strenge Form angenommen
hat,
und ich bilde mir etwas darauf ein, trotz des Vorwurfes
der Pedanterie stets
daran festgehalten zu haben, erst seit dieser
Zeit kann man sagen, dass eine
einfache Form gewonnen
ist, die wir überall wieder aufsuchen können, und die,
wenn
auch in Grösse und äusserer Gestaltung verschieden, doch in
ihren
wesentlichen Bestandtheilen immer gleichartig ist.
An einer solchen einfachen Zelle unterscheiden wir
ziemlich
verschiedenartige Bestandtheile, und es ist wichtig, dass
wir
auch diese genau auseinanderlegen.
Zuerst erwarten wir, dass innerhalb der Zelle ein Kern
sei. Von diesem
Kerne, der in der Regel eine ovale oder
runde Form hat, wissen wir, dass er,
zumal in jungen Elementen
eine grössere Resistenz gegen chemische
Einwirkungen
[8]
besitze, als die äusseren Theile der Zelle, und dass er trotz
der
grössten Variabilität der äusseren Gestalt der Zelle seine
Gestalt im
Allgemeinen behaupte. Der Kern ist demnach derjenige
Theil der Zelle, der
mit grosser Constanz in allen Formen
unverändert wiederkehrt. Freilich gibt
es einzelne Fälle,
welche durch die ganze Reihe der
vergleichend-anatomischen
und pathologischen Thatsachen zerstreut liegen, in
denen auch
der Kern zackig oder eckig erscheint, aber dies sind ganz seltene
Ausnahmen, gebunden an besondere Veränderungen, welche
das Element
eingegangen ist. Im Allgemeinen kann
man sagen, dass so lange als es noch zu
keinem Abschluss
des Zellenlebens gekommen ist, so lange als die Zellen
sich
als lebenskräftige Elemente verhalten, die Kerne eine nahezu
constante Form besitzen.
Der Kern seinerseits enthält bei entwickelten Elementen
wiederum mit
grosser Beständigkeit ein Gebilde in sich, das
sogenannte Kernkörperchen
(Nucleolus). In Beziehung auf
die Frage von der vitalen Form kann man von dem
Nucleolus
nicht sagen, dass er als ein nothwendiges Desiderat erscheine;
in einer erheblichen Zahl von jungen Elementen ist
es noch nicht
gelungen, ihn zu sehen. Dagegen treffen wir
ihn bei ganz entwickelten älteren
Formen regelmässig, und
er scheint daher eine höhere Ausbildung des Elementes
anzuzeigen.
Nach der Aufstellung, welche ursprünglich von
Schleiden
gemacht, von Schwann acceptirt wurde, dachte man
sich lange Zeit
das Verhältniss der drei coexistenten Zellentheile
so, dass der Nucleolus
bei der Entwickelung der Gewebe als
[9] das Erste aufträte, indem er sich aus
einer Bildungsflüssigkeit
(Blastem, Cytoblastem) ausscheide, dass er schnell
eine
gewisse Grösse erreiche, dass sich dann um ihn kleine Körnchen
Sie werden späterhin eine Reihe von Thatsachen
der pathologischen und
physiologischen Entwicklungsgeschichte
kennen lernen, welche es in hohem
Grade wahrscheinlich
machen, dass der Kern eine ausserordentlich wichtige
Rolle
innerhalb der Zelle spielt, eine Rolle, die, wie ich gleich hervorheben
will, weniger auf die Function, die specifische Leistung
der Elemente
sich bezieht, als vielmehr auf die Erhaltung
und Vermehrung des Elementes als
eines lebendigen
[10] Theiles. Die specifische (im engern Sinne animalische)
Function
zeigt sich am deutlichsten am Muskel, am Nerven, an
der
Drüsenzelle; ihre besonderen Thätigkeiten der Contraction,
der
Sensation, der Secretion, scheinen in keiner unmittelbaren
Weise mit
den Kernen etwas zu thun zu haben. Aber dass
inmitten aller Function das
Element ein Element bleibt, dass
es nicht vernichtet wird und zu Grunde geht
unter der fortdauernden
Thätigkeit, dies scheint wesentlich an die
Thätigkeit
des Kerns gebunden zu sein. Alle diejenigen
zelligen
Bildungen, welche ihren Kern verlieren, sehen wir mehr transitorisch
zu Grunde gehen, sie verschwinden, sterben ab, lösen
sich auf. Ein
menschliches Blutkörperchen z.B. ist eine Zelle
ohne Kern; es besitzt eine
äussere Membran und einen rothen
Inhalt, aber damit ist seine
Zusammensetzung, so weit man
sie erkennen kann, erschöpft, und was man vom
Blutkörperchen-Kern
beim Menschen erzählt hat, bezieht sich auf Täuschungen,
welche allerdings sehr leicht und häufig hervorgebracht
werden dadurch,
dass kleine Unebenheiten der Oberfläche
sich bilden. Man könnte daher nicht
sagen, dass Blutkörperchen
Zellen seien, wenn wir nicht wüssten, dass
eine
gewisse Zeit existirt, wo auch die menschlichen Blutkörperchen
Kerne
haben, nehmlich die Zeit innerhalb der ersten
Monate des intrauterinen
Lebens. Hier cursiren auch beim
Menschen kernhaltige Blutkörperchen, wie man
sie bei Fröschen,
Vögeln, Fischen das ganze Leben hindurch sieht. Das
ist
bei Säugethieren auf eine gewisse Zeit der Entwicklung
beschränkt, so dass
in der späteren Zeit die rothen
Blutkörperchen nicht mehr die volle
Zellennatur an sich tragen,
sondern einen wichtigen Bestandtheil ihrer
Zusammensetzung
eingebüsst haben. Aber wir alle sind auch darüber
einig,
dass gerade das Blut eines von den wechselnden Bestandtheilen
des Körpers
ist, die keine Dauerhaftigkeit der Elemente
besitzen, von denen Jeder
annimmt, dass ihre Theile
zu Grunde gehen und ersetzt werden durch neue, die
wiederum
der Vernichtung bestimmt sind, und die überall (wie
die obersten
Epidermiszellen, in welchen wir auch keine Kerne
finden, so bald sie sich
abschilfern) schon ein Stadium ihrer
Entwicklung erreicht haben, wo sie
nicht mehr jener Dauerhaftigkeit
[11] der innereren Zusammensetzung
bedürfen, als deren
Bürgen wir den Kern betrachten müssen.
Dagegen kennen wir, so vielfach auch gegenwärtig die
Gewebe untersucht
sind, keinen Theil, der wächst, der sich
vermehrt, sei es physiologisch oder
pathologisch, wo nicht mit
Nothwendigkeit kernhaltige Elemente als die
Ausgangspunkte
der Veränderung nachweisbar wären, und wo nicht die
ersten
entschiedenen Veränderungen, welche auftreten, den Kern selbst
betreffen, so dass wir aus seinem Verhalten oft bestimmen können,
was
möglicher Weise aus den Elementen geworden sein würde.
Sie sehen nach dieser Darstellung, dass wenigstens zweierlei
für die
Zusammensetzung eines zelligen Elementes als
nothwendiges Desiderat verlangt
werden muss, nämlich die
Membran, mag sie nun rund oder zackig oder
sternförmig
sein, und der Kern, welcher von vorn herein eine
andere
chemische Beschaffenheit besitzt als die Membran. Es ist indess
damit lange nicht alles Wesentliche erschöpft, denn die
Zelle ist ausser
dem Kern gefüllt mit einer verhältnissmässig
grösseren oder kleineren Menge
von Inhaltsmasse, und ebenso
in der Regel, wie es scheint, der Kern
seinerseits, in der Art,
Meiner Auffassung nach ist dies der einzig mögliche Ausgangspunkt
aller
biologischen Doctrinen. Wenn eine bestimmte
Uebereinstimmnng der elementaren
Form durch die ganze
Reihe alles Lebendigen hindurchgeht, und wenn man
vergeblich
in dieser Reihe nach irgend etwas Anderem sucht, was
an die
Stelle der Zelle gesetzt werden könnte, so muss man
nothwendig auch jede
höhere Ausbildung, sei es einer Pflanze
oder eines Thieres, zunächst
betrachten als eine progressive
Summirung einer grösseren oder kleineren
Zahl gleichartiger
oder ungleichartiger Zellen. Wie ein Baum eine in einer
bestimmten
Weise zusammengeordnete Masse darstellt, in welcher
als letzte
Elemente an jedem einzelnen Theile, am Blatt
wie an der Wurzel, am Stamm wie
an der Blüthe, zellige Elemente
erscheinen, so ist es auch mit den
thierischen Gestalten.
Jedes Thier erscheint als eine Summe vitaler
Einhei-
ten, von denen jede den vollen Charakter des Lebens an
sich trägt.
Der Charakter und die Einheit des Lebens kann
nicht an einem bestimmten
Punkte einer höheren Organisation
gefunden werden, z. B. im Gehirn des
Menschen, sondern nur
in der bestimmten, constant wiederkehrenden
Einrichtung, welche
jedes einzelne Element an sich trägt. Daraus geht
hervor, dass
die Zusammensetzung eines grösseren Körpers immer auf eine
[13] Art von gesellschaftlicher Einrichtung herauskommt, eine Einrichtung
socialer Art, wo eine Masse von einzelnen Existenzen
auf einander
angewiesen ist, aber so, dass jedes Element für
sich eine besondere
Thätigkeit hat, und dass jedes, wenn es
auch die Anregung zu seiner
Thätigkeit von anderen Theilen
her empfängt, doch die eigentliche Leistung
von sich ausgehen
lässt.
Ich habe es deshalb für nothwendig erachtet, und ich glaube,
dass Sie
Nutzen davon haben werden, den Körper zu zerlegen
in Zellenterritorien. Ich
habe gesagt Territorien, weil wir
in der thierischen Organisation eine
Eigenthümlichkeit finden,
welche in der Pflanze fast gar nicht zur
Anschauung kommt,
nämlich die Entwicklung grosser Massen sogenannten
intercellularen
Gewebes. Während die Pflanzenzellen in der
Regel mit
ihren äusseren Absonderungsschichten unmittelbar
aneinander stossen, so
jedoch, dass man immer noch die alten
Grenzen unterscheiden kann, so finden
wir bei den thierischen
Geweben, dass diese Art der Anordnung die
seltnere
ist. Hier treffen wir eine oft sehr reichliche Masse zwischen
den Zellen (Zwischensubstanz, Intercellularsubstanz),
aber wir können
selten von vornherein Übersehen, inwieweit
[14] ein bestimmter Theil davon der einen, ein anderer der anderen
Zelle
angehöre.
Nach Schwann war die Intercellularsubstanz eine Art
von Cytoblastem, für
die Entwicklung neuer Zellen bestimmt.
Dies halte ich nicht für richtig,
vielmehr bin ich durch eine
Reihe von pathologischen Erfahrungen dahin
gekommen, einzusehen,
dass die Intercellularsubstanz in einer bestimmten
Abhängigkeit
von den Zellen sich befindet und dass es nothwendig
ist,
auch in ihr Grenzen zu ziehen und zuzugestehen, dass
auch von der
Intercellularsubstanz gewisse Bezirke der einen
und gewisse der andern Zelle
angehören. Sie werden sehen,
wie pathologische Vorgänge diese Grenzen scharf
markiren,
wie sich direkt zeigen lässt, dass ein bestimmtes Territorium
von Zwischensubstanz beherrscht wird von einem Zellen-Elemente,
welches
in dessen Mitte gelegt ist und von welchem
Wirkungen auf die Nachbarschaft
ausgehen.
Es wird jetzt deutlich sein, wie ich mir die Zellen-Territorien
denke: Es
gibt Gewebe, welche ganz aus Zellen bestehen,
Zelle an Zelle gelagert. Hier
kann über die Grenze
der einzelnen Zelle keine Schwierigkeit bestehen, aber
es ist nöthig,
hervorzuheben, dass auch in diesem Falle jede einzelne Zelle
ihre besonderen Wege gehen, ihre besonderen Veränderungen er-
fahren
kann, ohne dass mit Notwendigkeit das Geschick der zunächstliegenden
Zelle
daran geknüpft ist. In andern Geweben
dagegen, wo wir Zwischenmassen haben,
versorgt die Zelle
ausser ihrem eignen Inhalt noch eine gewisse Menge
von
äusserer Substanz, die mit au ihren Veränderungen Theil
nimmt, ja
sogar häufig frühzeitiger afficirt wird, als das Innere der
Zelle, welches
mehr gesichert ist durch seine Lagerung als die
äussere Zwischenmasse.
Endlich gibt es eine dritte Reihe
von Geweben, deren Elemente untereinander
in engeren Verbindungen
stehn. Es kann z. B. eine sternförmige Zelle mit
einer ähnlichen zusammenhängen, und dadurch eine netzförmige
Anordnung
entstehen, ähnlich derbei denCapillaren und anderen
analogen Gebilden. In
diesem Falle könnte man glauben,
dass die ganze Reihe beherrscht werde von
irgend Etwas, was
wer weiss wie weit entfernt liegt, indessen bei
genauerem
Studium ergibt sich, dass selbst in diesen kettenartigen Elementen
[15] eine gewisse Unabhängigkeit der einzelnen Glieder
besteht, und dass
diese Unabhängigkeit sich äussert, indem
unter gewissen äusseren oder inneren
Einwirkungen das Element
nur innerhalb seiner Grenzen gewisse Veränderungen
erfährt,
ohne dass die nächsten Elemente dabei betheiligt zu sein
brauchen.
Das Angeführte wird zunächst genügen, um Ihnen zu zeigen,
in welcher Weise
ich es für nothwendig erachte, die pathologischen
Erfahrungen auf bekannte
histologische Elemente
zurückzuführen, warum es mir nicht genügt z. B. von
einer
Thätigkeit der Gefässe zu sprechen oder von einer Thätigkeit
der
Nerven, sondern warum ich es für nothwendig erachte,
neben Gefässen und
Nerven die grosse Zahl von kleinen
Theilen ins Auge zu fassen, welche
eigentlich die Hauptmasse
der Körpersubstanz ausmachen. Es genügt nicht, dass
man,
wie es seit langer Zeit geschieht, die Muskeln als thätige
Elemente
daraus ablöst; innerhalb des grossen Restes, der gewöhnlich
als eine träge
Masse betrachtet wird, findet sich
noch eine ungeheure Zahl wirksanier
Theile.
In der Entwicklung, welche die Medicin bis in die letzte
Zeit genommen
hat, finden wir den Streit zwischen den humoralen
und solidaren Schulen der
alten Zeit immer noch erhalten.
Die humoralen Schulen haben im Allgemeinen
das
meiste Glück gehabt, weil sie die bequemste Erklärung und
in der That
die plausibelste Deutung der Krankheitsvorgänge
gebracht haben. Man kann
sagen, dass fast alle glücklichen
Praktiker und bedeutenden Kliniker mehr
oder weniger humoralpathologische
Tendenzen gehabt haben; ja diese sind
so
populär geworden, dass es jedem Einzelnen äusserst schwer
wird, sich
aus ihnen zu befreien. Die solidarpathologischen
Ansichten sind mehr eine
Liebhaberei speculativer Forscher
gewesen und nicht sowohl aus dem
unmittelbaren pathologischen
Bedürfnisse, als vielmehr aus physiologischen
und philosophischen,
selbst aus religiösen Speculationen hervorgegangen.
Sie haben den Thatsachen Gewalt anthun müssen, sowohl in
der Anatomie
als in der Physiologie, und haben daher nie-
mals eine ausgedehnte
Verbreitung gefunden. Meiner Auffassung
nach ist der Standpunkt beider
Lehren ein unvollständiger;
[16] ich sage nicht ein falscher, weil er eben
nur falsch
ist in seiner Exclusion; er muss zurückgeführt werden
auf
gewisse Grenzen, und man muss sich erinnern, dass neben
Gelassen und
Blut, neben Nerven und Centralapparaten noch
andere Dinge existiren, die
nicht ein blosses Substrat der
Einwirkung von Nerven und Blut sind, auf
welchem diese
ihr Wesen treiben.
Wenn man nun fordert, dass die medicinischen Anschauungen
auch auf dieses
Gebiet sich übertragen sollen,
wenn man andererseits verlangt, dass auch
innerhalb der
humoral- und neuropathologischen Vorstellungen man
sich
schliesslich erinnern soll, dass das Blut aus vielen
einzelnen für
sich bestehenden Theilen besteht, dass das
Nervensystem aus vielen
Sonderbestandtheilen zusammengesetzt
ist, so ist dies eine Forderung, die
freilich auf den
ersten Blick manche Schwierigkeiten bietet. Aber wenn
Sie
sich erinnern, dass man Jahre lang nicht bloss in den Vorlesungen,
sondern auch am Krankenbette von der Thätigkeit
der Capillaren gesprochen
hat, einer Thätigkeit, die
Niemand gesehen hat, die eben nur auf bestimmte
Doctrinen
hin angenommen worden ist, so werden Sie es nicht
unbillig
finden, dass Dinge, die wirklich zu sehen sind, ja
die, wenn man sich übt,
selbst dem unbewaffneten Auge
uicht selten zugängig sind, gleichfalls in den
Kreis des
ärztlichen Wissens und Denkens aufgenommen werden. Von
Nerven
hat man nicht nur gesprochen, wo sie nicht dargestellt
waren, man hat sie
einfach supponirt, selbst in
Theilen, wo bei den sorgfältigsten
Untersuchungen sich
nichts von ihnen hat nachweisen lassen; man hat sie
wirksam
sein lassen an Punkten, wohin sie überhaupt gar nicht
vordringen.
So ist es denn gewiss eine billige Forderung,
dass dem grösseren Theile des
Körpers eine gewisse Anerkennung
werde, und wenn diese Anerkennung
zugestanden
wird, dass man sich nicht mehr mit der blossen Ansicht
der
Nerven als ganzer Theile, als eines zusammenhängenden
einfachen Apparates,
oder des Blutes als eines blos flüssigen
Stoffes begnüge, sondern dass man
auch innerhalb des Blutes
[17] und des Nervenapparates eine Masse wirksamer
kleiner
Centren zulasse.
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Zum Schlüsse habe ich
noch einige Präparate zu erläutern:
Ich fange mit einem sehr gewöhnlichen
Objecte
an. Es ist von einem Kartoffelknollen hergenommen, an
einer
Stelle, wo Sie die vollkommene Structur einer
Pflanzenzelle
übersehen können: da, wo der Knollen anfängt, einen
neuen
Schoss zu treiben, wo also die Wahrscheinlichkeit besteht,
dass man
junge Zellen finden wird, vorausgesetzt, dass das
Wachsthum überhaupt in der
Entwicklung neuer Zellen besteht.
Im Innern des Knollens sind bekanntlich
alle Zellen
mit Amylonkörpern vollgestopft; an dem jungen Schoss dagegen
wird in dem Maasse, als er wächst, das Amylon
verbraucht, und die Zelle
zeigt sich wieder in ihrer reineren
Gestalt. Auf einem Querschnitte durch
einen jungen
Schössling nahe an seinem Austritte aus dem Knollen
unterscheidet
man etwa vier verschiedene Lagen: die Rindenschicht,
dann
eine Schicht grösserer Zellen, dann eine Schicht
kleinerer Zellen, und
zuinnerst wieder eine Lage von grösseren.
Hier sieht man lauter regelmässige
Gebilde; dicke Kapseln
von sechseckiger Gestalt, und im Innern derselben
einen oder
ein Paar Kerne (Fig. l). Gegen die Rinde (Kork Schicht)
hin
sind die Zellen viereckig und je weiter nach aussen, um so
Beim folgenden Präparate, einem Stück Rippenknorpel im
Stadium des
pathologischen Wachsthums, erscheinen schon
In dem folgenden Objecte sehen Sie junge Eierstockseier
des Frosches,
bevor die Abscheidung der Dotterkörner begonnen
hat. Die sehr grosse Eizelle enthält einen gleichfalls sehr
grossen Kern,
in dem eine Menge von kleinen Bläschen vertheilt
sind, und einen ziemlich
dicken, trüben Inhalt, der an
einer bestimmten Stelle körnig und braun zu
werden anfängt.
Um sie herum bemerkt man das verhältnissmässig schwache
Bindegewebe des Graaf'schen Follikels, mit einem schwer zu
erkennenden
Epithelial-Stratum. Daneben liegen mehrere
kleinere Eier, welche dass
allmählige Wachsthum erkennen
lassen.
[21] Im Gegensatze zu diesen colossalen Zellen lege ich Ihnen
noch ein
klinisches Object vor: Zellen von einem frischen
katarrhalischen Sputum. Sie
sehen im Verhältniss sehr kleine
Elemente, die sich bei stärkerer
Vergrösserung als vollkommen
Diese Formen haben, so klein sie sind, doch die ganze
typische
Eigenthümlichkeit der grossen; alle Zellencharaktere
der grossen finden sich
an ihnen wieder. Das ist aber meines
Erachtens das Wesentliche, dass, wir
mögen nun die grossen
oder die kleinen, die pathologischen oder
physiologischen
Zellen zusammenhalten, wir dies Uebereinstimmende
immer
wiederfinden.
[4Anm] Fig. 1. Pflanzenzellen aus dem Centrum des jungen
Triebes eines
Knollens von Solanum tuberosum. a. die gewöhnliche
Erscheinung des
regelmässig polygonalen, dickwandigen Zellengewebes,
b. eine isolirte
Zelle mit feinkörnigem Aussehen der Höhlung, in der
ein Kern mit
Kernkörperchen zu sehen ist. c. dieselbe Zelle, nach
Einwirkung von
Wasser, der Inhalt (Protoplasma) hat sich von der Wand
(Membran,
Capsel) zurückgezogen. An seinem Umfange ist eine besondere
feine
Haut (Primordialschlauch) zum Vorschein gekommen. d. dieselbe
Zelle
bei längerer Einwirkung von Wasser; die innere Zelle (Protoplasma
mit
Primordialschlauch und Kern) hat sich ganz zusammengezogen und ist
nur
durch feine, zum Theil ästige Fäden mit der Zellhaut (Capsel) in
Verbindung
geblieben.
[6Anm] Fig. 2. Knorpelzellen, wie sie am
Ossificationsrande wachsender
Knorpel vorkommen, ganz den Pflanzenzellen
analog (vgl. die Erklärung
zu Fig. 1.). a--c. entwickeltere,
d. jüngere Form.
[8Anm] Fig. 3. a. Leberzelle. b.
Spindelzelle des Bindegewebes. c. Capillargefäss.
d. Grössere
Sternzelle aus einer Lymphdrüse. e. Ganglienzelle
aus dem Kleinhirn.
Die Kerne überall gleichartig.
[9Anm] Fig. 4. Nach Schleiden, Grundzüge der wiss.
Botanik I. Fig. 1.
"Inhalt des Embryosackes von Vicia faba bald nach der
Befruchtung. In
der hellen, aus Gummi und Zucker bestehenden Flüssigkeit
schwimmen
Körnchen von Proteinverbindungen (a), unter denen sich
einzelne grössere
auffallend auszeichnen. Um diese letzteren sieht man dann
die ersteren
zu einer kleinen Scheibe zusammengeballt (b. c.).
Um andere Scheiben
erkennt man einen hellen, scharf begrenzten Saum, der sich
allmählich
weiter von der Scheibe (dem Cytoblasten) entfernt und endlich
deutlich als junge Zelle (d. e.) erkannt wird."
[11Anm] Fig. 5. a. Pigmentzelle aus der Choroides
oculi. b. Glatte Muskelzelle
aus dem Darm. c. Stück einer
doppeltcontouirten Nervenfaser
mit Axencylinder, Markscheide und
wandständigem, nucleolirtem Kern.
[13Anm] Fig. 6. Epiphysenknorpel vom Oberarme eines
Kindes, an der Ellenbeuge.
Das Object war zuerst mit chromsaurem Kali und
dann mit Essigsäure
behandelt. In der homogenen Grundsubstanz
(Intercellulargewebe)
sieht man bei a. Knorpelhöhlen mit noch dünner
Wand (Capsel),
in welchen die Knorpelzellen, mit Kern und Kernkörperchen
versehen,
sich deutlich abgrenzen. b. Capseln (Höhlen) mit zwei, durch
Theilung
der früher einfachen, entstandenen Zellen. c. Theilung der
Capseln
nach Theilung der Zellen. d. Auseinanderrücken der getheilten
Capseln durch Zwischenlagerung von Intercellularsubstanz.
--
Knorpelwachsthum.
[17Anm] Fig. 7. Aus der Rindenschicht eines Knollens von
Solanum tuberosum
nach Behandlung mit Jod und Schwefelsäure. a Platte
Rindenzellen,
umgeben von der Kapsel (Zellhaut, Membran). b. Grössere,
viereckige
Zellen derselben Art; die goschrumpfte und gerunzelte eigentliche
Zelle (Primordialschlauch) innerhalb der Kapsel. c. Zelle
mit
Amylonkörnern, welche innerhalb des Primordialschlauches liegen.
[18Anm] Fig. 8. Längsschnitt durch einen jungen
Februar-Trieb vom Aste
eines Ligustrum. A. die äussere Schicht: unter
einer sehr platten Zellenlage
sieht man grössere, viereckige, kernhaltige
Zellen, aus denen
durch fortgehende Quertheilung kleine Zapfen (a)
hervorwachsen, die
[19Anm] immer länger werden (b) und durch Längstheilung
sich verdicken (c).
B. die Gefässschicht mit Spiralfasern. C. einfache,
viereckige, längliche
Zellen. -- Pflanzenwachsthum.
Fig. 9. Knorpelwucherung aus dem Rippenknorpel eines
Erwachsenen.
Grössere Gruppen von Knorpelzellen innerhalb einer
gemeinschaftlichen
Umgrenzung (falschlich (!) sogenannte Mutterzelle), durch
successive
Theilungen aus einzelnen Zellen hervorgegangen. Am Rande davon
ist
eine solche Gruppe durchschnitten, in der man eine Knorpelzelle
mit
mehrfacher Umlagerung von Kapselschichten (äusserer Absonderungsmasse)
sieht. Vergröss. 300.
[20Anm] Fig. 10. Junge Eierstockseier vom Frosch.
A. eine ganz junge
Eizelle. B. eine grössere. C. eine
noch grössere mit beginnender Abscheidung
brauner Körnchen an dem einen Pol
(e) und mit äusserer Einfaltung
der Zellmembran durch Eindringen von
Wasser. a. Membran
des Follikels. b. Zellmembran. c.
Kernmembran. d. Kernkörperchen.
S. Eierstock. Vergröss. 150.
[21Anm] Fig. 11. Zellen aus frischem katarrhalischen
Sputum. A. Eiterkörperchen.
a. ganz frisch. b. nach
Behandlung mit Essigsäure: in der
Membran ist der Inhalt aufgeklärt und man
sieht drei kleine Kerne.
B. Schleimkörperchen. a. einfaches.
b. mit Pigmentkörnchen. Vergr. 300.